Methode zur Berechnung der geographischen Herkunft von Produkten
Herkunftsbilanz
Mit der Herkunftsbilanz kann die Herkunft von Produkten entlang der Wertschöpfungskette berechnet werden. Die Methode ist derzeit für Lebensmittelprodukte erprobt und empfohlen, prinzipiell kann sie aber auch auf andere Produktarten angewendet werden.
Angaben zur Herkunft von Lebensmittel: Verwirrende Vielfalt bei Werbung und Kennzeichnung
Nicht zuletzt weil Produkte aus der Region hohe Zustimmung erfahren, bieten Erzeuger und Handel regionale Produkte an und werben dafür. Regionalwerbung kann aber Verbraucher verwirren wenn etwa nur der Standort des Verarbeitungsunternehmens ausgelobt wird aber nicht die Herkunft der Rohstoffe und Zutaten. Eine Überprüfung der Regionalwerbung großer Handelsketten ergab, dass bei ca. 90% vermeintlicher Regionalprodukte die Herkunft der Rohstoffe im Dunkeln bleibt [1]. Die Vielfalt an Regionalsiegel bedingt unterschiedliche Kriterien und damit unterschiedlich hohe regionale Anteile im Endprodukt. Auch dieser Umstand trägt nicht gerade zu einer klaren Verbraucherinformation bei.
Herkunftsbilanz als Alternative
Verbraucherbefragungen in der EU ergeben, dass Informationen zur Herkunft von Lebensmitteln für 70% der KonsumentInnen von Bedeutung sind,[2],[3]. Dieses signifikante Informationsbedürfnis verbunden mit der offensichtlichen Unschärfe und Komplexität von Herkunftsangaben motivierte uns dazu, eine objektive Methode für die Berechnung der Herkunft von Lebensmitteln zu entwickeln. Zusammen mit Partnern erarbeitete das Technische Büro Klade die Methode Herkunftsbilanz. Verbindliche Vorgabe war dabei die lückenlose Erfassung der Produktherkunft von den Rohstoffen bis zum fertig verpackten Produkt. Vorbild und Bezugspunkt bei der Methodenentwicklung war die Vorgangsweise der Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA). Die Ökobilanz erfasst den Produktlebensweg, um so potenzielle Umweltwirkungen abzuschätzen. Zu diesem Zweck stellt die Ökobilanz normative Anforderungen etwa an die Definition des Produktes, die Grenzen des untersuchten Systems und die Qualität der verwendeten Daten. Die Herkunftsbilanz übernimmt diese Anforderungen, ändert allerdings die Zielsetzung. Konkret bedeutet das: Elemente der ISO 14025, 14040 und 14044 – diese internationalen Normen bilden die Grundlage für die Erstellung von Ökobilanzen sowie für Typ III Umweltdeklarationen – werden in die Herkunftsbilanz integriert und durch den Modul „ Herkunftsanalyse“ zur Berechnung der Herkunft ergänzt. Details der Methode und Berechnungsbeispiele finden sich in „Herkunft von Produkten“.
Anwendungsmöglichkeiten
Indem die Herkunftsbilanz Anforderungen der Ökobilanz übernimmt und mit einer Herkunftsanalyse ergänzt, bietet sie gegenüber bestehenden Herkunftskennzeichnungen und Regionalsiegeln signifikante Vorteile. Die Herkunftsbilanz
- ist im Prinzip auf alle Produkte gleichermaßen anwendbar,
- erfasst die gesamte Wertschöpfungskette von den Rohstoffen bis zum verpackten Produkt und
- berechnet regionale, überregionale sowie in der Herkunft unbekannte Produktanteile.
Die Herkunftsbilanz ist flexibel in Bezug auf
- die Wahl der untersuchten bzw. im Ergebnis ausgewiesenen geographischen Gebiete und
- bietet die Möglichkeit, die Berechnung entweder auf der Basis auftretender Masseströme und/oder ausgewiesener Preise (Kosten) durchzuführen.
Somit kann auch der Beitrag des Produktes zur regionalen Wertschöpfung berechnet werden.
Schließlich ermöglicht die Herkunftsbilanz auch Vergleiche, entweder
- zwischen der Herkunft von Produkten derselben Produktgruppe oder
- zwischen der tatsächlichen Herkunft eines Produktes und den Herkunftserwartungen von KonsumentInnen in Bezug auf dieses Produkt.
[1] http://www.verbraucher.de/Regionalwerbung-Herkunft-der-Rohstoffe-meist-Fehlanzeige
[2] BEUC consumer survey (January 2013) Where does my food come from? Origin labelling on food
[3] Special Eurobarometer 389 (March 2012) Europeans attitudes towards food security, food quality and the countryside
Welche Informationen werden zur Berechnung der Herkunft benötigt?
Spezifikationen vor Durchführung einer Herkunftsbilanz
Die Herkunftsbilanz eignet sich für die Optimierung als auch für die Kommunikation der Herkunft von Produkten. Hersteller können die Ergebnisse beispielsweise betriebsintern zur Steigerung des regionalen Produktanteils verwenden oder um Vorprodukte in Bezug auf ihre Herkunft optimieren. Die Ergebnisse können aber auch auf der Verpackung, mittels Werbung oder im Internet veröffentlicht und so an Verbraucher weitergegeben werden (B2C).Um sicherzustellen, dass die Einzelheiten der Studie widerspruchsfrei und für den vorgegebenen Zweck hinreichend sind, sollte der Auftraggeber den Zweck klar benennen. Die Festlegung einer Vergleichseinheit für das zu untersuchende Produkt ist eine wichtige normative Voraussetzung für eine Ökobilanz und wird von der Herkunftsbilanz übernommen. Die funktionelle Einheit (functional- bzw. declared-unit) ist diejenige Referenz, auf die Rohstoffe, Vorprodukte und Verarbeitungsprozesse bezogen werden. Wenn die Ergebnisse für Produktvergleiche verwendet werden, dann sollte für das untersuchte Produkt die Produktgruppe identifiziert und ein Dokument mit den korrespondierenden Produktgruppenregeln recherchiert werden.
Produktgruppe, EPD und PCR
Zur Identifizierung einer Produktgruppe stehen verschiedene Klassifizierungssysteme zur Verfügung (UN CPC; http://unstats.un.org). Die korrekte Definition der Produktgruppe ist Voraussetzung für eine Typ III Umweltdeklaration (Environmental Product Declaration, EPD). Eine EPD ist das Informationsinstrument des Herstellers für die Umweltleistung seines Produktes. Mit EPDs werden vergleichende Aussagen zwischen konkurrierenden Produkten möglich wobei die Bewertungsbasis eine Ökobilanz ist. EPDs werden von Programmbetreibern verwaltet (z.B. The International EPD® System; http://www.environdec.com). Die Progammbetreiber bieten auch Anleitungen für die Erstellung von EPDs in Form von Produktgruppenregeln (Product Category Rules, PCRs) an. Eine PCR enthält konkrete Anweisungen für die Erfassung von Prozessen entlang der Wertschöpfungskette. |
Die Herkunftsbilanz erfasst alle im Lebenszyklus des Produktes auftretenden Prozesse ausgenommen die Nutzungs- und Entsorgungsphase. Die Summe aller für die Herstellung eine Produktes relevanten Prozesse sind das Produktsystem. Ob es zulässig ist relevante Prozesse vom Produktsystem auszuschließen bzw. sie außerhalb der Systemgrenze zu setzen lässt sich mit Hilfe des Abschneidekriteriums (Cut-Off rule) entscheiden. Der Richtwert für das Abschneidekriterium in der Herkunftsbilanz lautet: Die Summe aller Prozesse außerhalb des Produktsystems bzw. außerhalb der Systemgrenze beträgt weniger als 1% aller relevanten Prozesse. Nach Durchführung der Bilanz ist kritisch zu prüfen, ob deren Außerachtlassung nicht die Aussagekraft des Ergebnisses beeinträchtigt. Neben dem Produkt sind auch Co-Produkte (Koppelprodukte) für den menschlichen Gebrauch geeignet und stellen somit einen verwertbaren Output des Produktsystems dar. Der Umgang mit Co-Produkten in der Herkunftsbilanz ist weitgehend ident mit dem in einer Ökobilanz. Wie bei der Ökobilanzmethode sind bei Vorliegen von Co-Produkten die Umsätze aller vorgelagerten Prozesse auf das Produkt und Co-Produkt(e) aufzuteilen – diese Vorgangsweise wird als Allokation bezeichnet. Wenn nicht schon bei der Festlegung der funktionellen Einheit dann ist spätestens bei der Allokation zu entscheiden, ob die Umsätze der Prozesse entweder in Masse (physikalisch) oder in Marktpreisen (ökonomisch) bilanziert werden.
Bei Bedarf können weitere Festlegungen in Bezug auf das Produktsystem und das Endergebnis vor Beginn einer Detailanalyse getroffen werden. So kann für den Anteil mit bekannter Herkunft ein Grenzwert festgelegt werden. Und es kann festgelegt werden, dass erst bei dessen Überschreitung die Ergebnisse der Bilanz veröffentlicht werden. Ein solcher Grenzwert könnte auch für den Anteil an Primärdaten festgelegt werden. Primärdaten werden vom Hersteller oder der Lieferkette bereitgestellt und sind spezifisch für das untersuchte Produkt. Sekundärdaten (generische Daten) stammen aus der Literatur oder Datenbanken und ersetzen Primärdaten. Ein Mindestanteil an Primärdaten kann also als Indikator für die Datenqualität interpretiert werden. Und schließlich kann – eventuell mit Hilfe einer Checkliste – die Verfügbarkeit von Primärdaten (vom Hersteller bzw. von der Lieferkette) als auch von Sekundärdaten (aus der Literatur) analysiert werden. Mit einer solchen Voranalyse kann abgeschätzt werden, ob die Detailanalyse voraussichtlich ein im Sinne der Zielsetzung verwertbares Endergebnis liefern wird.
Tabelle 1
Inventarisierung
Inventarisiert werden die Prozesse entlang der Wertschöpfungskette bis zum fertigen Produkt. Für das Produkt Hühnerbrust sind dies Futtermittelanbau und -verarbeitung, Elterntierhaltung, Brüterei, Mast, Schlachtung, Verarbeitung und Verpackung (Abbildung 1). Die Inventarisierung beschränkt sich auf Materialien, die zum Endprodukt beitragen und Prozesse, die erforderlich sind um diese Materialien bereitzustellen oder umzuwandeln. Da die Herkunftsbilanz auf die Produktherkunft beschränkt ist bleiben Ressourcenverbräuche und Umweltwirkungen unberücksichtigt. Von der Inventarisierung nicht erfasst werden daher alle Arten von Abfällen, Emissionen, Energie, Transporte, die Infrastruktur und Hilfsmaterialien (z.B. Löse-, Reinigungs- und Desinfektionsmittel). Das in Tabelle 1 skizzierte Produktsystem ist in der Detailanalyse auszuarbeiten und – vom Endprodukt zurückgehend – werden die einzelnen Prozesse aufeinander bezogen. Das bedeutet, dass der Input des nachgeschalteten Prozesses dem Output des vorgeschalteten Prozesses vorgibt und die funktionelle Einheit (1 kg verpackte Hühnerbrust) als Referenzgröße die jeweils benötigte Menge bestimmt. Abbildung 1 zeigt die Inventarisierung nach Stoffmengen (kg), alternativ könnten auch Marktpreise (€/kg) verwendet werden.
Abbildung 1
Im Prozess Schlachtung entsteht neben 1,0 kg Produkt Hühnerbrust zusätzlich 2,04 kg Co-Produkt. Gemäß den allgemeinen Regeln für die Allokation sind daher die Stoffmengen aller der Schlachtung vorgeschalteten Prozesse zwischen Produkt und Co-Produkt im Verhältnis 1 zu 2,04 aufzuteilen. Nachgeschaltete Prozesse wie die Verpackung werden dagegen zu 100% der Hühnerbrust zugerechnet. Der Prozess Brüterei Elterntiere (Kücken) befindet sich in Abbildung 1 außerhalb der Systemgrenze und ist nicht Teil des Produktsystems. Bei einer solchen Festlegung ist spätestens nach Vorliegen des Endergebnisses kritisch zu prüfen, ob das Abschneidekriterium eingehalten worden ist.
Herkunftsanalyse
Abbildung 2 zeigt die geographische Beschreibung des Produktsystems. Die Angaben reichen dabei von sehr kleinen Ortschaften, Bezirken, Bundesländer bis zu Nationalstaaten und darüber hinaus. Geographische Angaben werden in der Herkunftsbilanz als Herkunftsräume bezeichnet.
Abbildung 2
Da sehr kleine, schlecht definierte oder weitgehend unbekannte Herkunftsräume die Kommunikation der Bilanzergebnisse erschweren ist es ratsam, dafür gut definierte oder besser bekannte Alternativen zu suchen. In der Regel eignen sich dafür politisch-administrative Einheiten wie Bezirke, Bundesländer, Nationalstaaten oder auch die EU. Abbildung 3 zeigt Alternativen für kleine und unbekannte Herkunftsräume: Die Prozesse Kücken: Brüterei bzw. Schlachtung finden in den Ortschaften Lasnitzhöhe bzw. Gniebing statt. Dafür bieten sich die Bezirke Graz-Umgebung bzw. Südoststeiermark oder das Land Steiermark als Alternativen an. Grundsätzlich können mit den jeweils kleineren Herkunftsräumen – in diesem Fall den Bezirken – besonders gut lokale bzw. regionale Produktanteile herausgearbeitet werden.
Abbildung 3
Gemäß Herstellerangaben ist der Prozess Bio-Mais: Anbau Futtermittel Mast in den Bundesländer Burgenland und Niederösterreich verortet. Mit Blick auf die Darstellung des Endergebnisses erscheint die Verwendung der nächst größeren politisch-administrativem Einheit Österreich praktischer und verständlicher als die Aggregation zweier Bundesländer.
Ist ein Herkunftsraum grundsätzlich bekannt aber dessen Angabe von geringem Informationswert oder erschwerend für die Ergebnisdarstellung, dann kann diese geographische Angabe dem vorgegebenen Herkunftsraum Global zugeordnet werden. Eine typische Anwendung wäre etwa der Prozess Verpackungsmaterial mit der vom Hersteller erhaltenen komplexen geographischen Information Österreich/Deutschland/Italien. Prozesse deren Herkunft nicht bekannt ist werden dem vorgegebenen Herkunftsraum Unbekannt zugeordnet. Der unbekannte Herkunftsanteil kann damit in der Herkunftsbilanz erfasst und berechnet werden und ist eine wichtige Information bei der Produktoptimierung und Produktkommunikation.
Sobald ein Satz von (vorläufigen) Herkunftsräumen festgelegt ist wird eine Kalkulationstabelle erstellt, welche für jeden Prozess die inventarisierte Stoffmenge (oder alternativ: den Preis) anführt und diese den Herkunftsräumen zuordnet. Nach Aufsummierung werden daraus Herkunftsanteile berechnet (Zeile 13 in Tabelle 2). Der Herkunftsanteil ausgedrückt in Prozent ist derjenige Anteil der Wertschöpfungskette, der einem gegebenen Herkunftsraum (Gebiet) zugeordnet wird. Tabelle 2 zeigt die vollständige Herkunftsinformation des untersuchten Produktes Hühnerbrust. Die Prozesse sind darin zwei Bezirken, drei Bundesländern, zwei aggregierten Bundesländern und zwei Nationalstaaten zugeordnet. Zusätzlich stehen die vorgegebenen Herkunftsräume Global und Unbekannt zur Verfügung.
Tabelle 2
Ergebnisdarstellung
Tabelle 2 enthält das Ergebnis der Herkunftsanalyse im Detail. Diese Darstellung erscheint für betriebsinterne Zwecke ausreichend aber als zu komplex und unübersichtlich für Verbraucher. Zur Vereinfachung können Herkunftsräume als auch Prozesse weiter zusammengefasst bzw. aggregiert werden. So können Bezirke in die Bundesländer und diese wiederum in den Herkunftsraum Österreich integriert werden. Mit dieser Vorgangsweise verliert die Ergebnisdarstellung allerdings an regionaler Auflösung. Auch Prozesse können zusammengefasst werden, wobei die Aggregate sinnvolle Einheiten bilden sollten. So lassen sich etwa die Prozesse 1 bis inkl. 6 zu Futtermittel und die Prozesse 7, 8 & 9 zu Aufzucht + Mast zusammenfassen, während die Prozesse 10 (Schlachtung) und 11 (Verarbeitung + Verpackung) separat erfasst werden.
Abbildung 4
Herkunftsanteile können graphisch aufbereitet werden um so etwa die regionalen oder nationalen Herkunftsanteile herauszuarbeiten (Abbildung 5).
Abbildung 5
Kritische Prüfung
Nach Durchführung sollte kritisch geprüft werden ob die zu Beginn festgelegten Spezifikationen eingehalten werden bzw. erfüllt sind und die verwendeten Daten zuverlässig sind. Letzteres erfordert eine Einschätzung der Güte der vom Hersteller bzw. Anwender bereitgestellten Daten als auch der Literaturdaten. Ist eine Veröffentlichung der Ergebnisse beabsichtigt dann sollte die Prüfung durch unabhängige Dritte vorgenommen und eine Vollständigkeits-, Sensitivitäts- und Konsistenzprüfung in Anlehnung an die Ökobilanzmethode durchgeführt werden. Schlussfolgerungen, Einschränkungen und Empfehlungen der Prüfung sollten in einem Bericht zusammengefasst werden, der neben der Beschreibung des Produktsystems die verwendeten Daten, Spezifikationen und Bilanzergebnisse enthält.